Es ist schon eine faszinierend, wie menschliche Wahrnehmung funktioniert. Unser Denken bestimmt unser Handeln, gar keine Frage. Und aus den Erfahrungen, die wir machen, werden durch Rückkopplung unsere Wahrnehmungsfilter neu justiert. Wir nehmen bestimmte Dinge dann viel aktiver wahr und haben ständig déjà vu-erlebnisse. Warum ich das erkläre? Die vergangene Woche stand für mich ganz unter dem Motto disruptiver Geschäftsmodelle.

Beim Xenith Dinner in Berlin ging es um den Wandel, den die Internet-Riesen Apple, Facebook, Google & Co. für unsere Gesellschaft und die Geschäftsmodelle unserer Wirtschaft bedeuten. Unter anderem hat dort Christoph Keese vorgetragen, Autor des Buches Silicon Valley.

Christoph Keese beim Xenith Dinner in Berlin (Foto:K. Altenfelder)

Christoph Keese beim Xenith Dinner in Berlin (Foto:K. Altenfelder)

Keese ist Executive Vice President bei Axel Springer und hat ein halbes Jahr im Zentrum der Internet-Macht gelebt und für sein Buch recherchiert. Er beschreibt im Buch, warum Unternehmen wie Google in Kalifornien ideale Start- und Wachstumsmöglichkeiten haben und führt auch sehr pointiert aus, warum deren Siesgeszug von Deutschland aus nicht hätte funktionieren können. Das fängt bei der Ausbildung an den amerikanischen Universitäten, allen voran Stanford, an und setzt sich über die Mentalität der Wagniskapitalfinanzierer („shoot for the moon“) fort.

Den eigentlichen Erfolg der Internetriesen machen aber die Verfügbarkeit von Kundeninformationen aus, die die Unternehmen in ihren Plattformen sammeln, analysieren und dann nutzen, um uns Kunden eine bestmögliche customer experience zu ermöglichen. Dieses Bemühen um unsere Gunst belohnen wir, indem wir unsere persönlichen Daten und Vorlieben nur allzu gerne preisgeben. Denn wenn wir angeben, wer unsere Freunde sind, welche Filme wir gerne sehen und welche Bücher wir lesen, wenn wir uns zu Themen äußern und sie kommentieren („liken“), dann ermöglichen uns die Plattformen, uns mit Gleichgesinnten zu vernetzen. Und je größer das Netzwerk wird, umso interessanter wird es für die Nutzer. Und umso höher sind die sozialen Kosten, dieses Netzwerk zu verlassen und ein anderes zu nutzen. Durch den Wechsel würde man das Netzwerk seiner Freunde hinter sich lassen, solange diese den Wechsel nicht mit machen. Das alles führt dazu, dass wir nicht die Kunden dieser Unternehmen sind, sondern deren Produkt. Ohne uns und den Zugriff auf unsere Daten wären die Dienste der Social Media-Netzwerke uninteressant, deren Geschäftsmodell wertlos.

Soweit, so gut. Spannend sind nun die Überlegungen, nein, vielmehr die Beobachtungen, welche neuen Geschäftsmodelle sich jetzt auf der Grundlage der vorhandenen Daten entwickeln. Die Kenntnis über unser aller Verhalten, unsere Vorlieben und unsere Denkweisen, erlauben, vorhandene Industrien mit neuen Ideen und Ansätzen anzugreifen. Dieser Angriff hat, wenn er erfolgreich ist, die Zerstörung der vorhandenen Märkte zur Folge – die Disruption. Die Beispiele sind vielfältig und viele haben mit dem Ausschluss vorhandener Anbieter aus dem Markt zu tun. Amazon verdrängt den stationären Buchhandel. Google bedroht die Printmedien. Zalando setzt ebenfalls den Handel unter Druck. Und so weiter und so fort. Und das ist erst der Anfang.

Daten sind das Öl des Informationszeitalters

Viele Industrien sind sich der disruptiven Bedrohung noch gar nicht bewusst, wenn sie sich den Googles dieser Welt zuwenden und sich ihnen öffnen. Keese führt die Automobilbauer an, die stolz davon berichten, nun auch Apple und Google für Entertainment und location based services in ihre Fahrzeuge zu integrieren. Die deutschen Autobauer glauben, dass ihr KnowHow und ihre Erfahrung sie vor dem Angriff der Marktneulinge schützen würde. Dabei übersehen sie, dass das Auto als Selbstzweck an Bedeutung verlieren wird. Die eigentliche Wertschöpfung findet dann im integrierten Store statt: Wenn aus der Verknüpfung von Zeit, Ort und Kenntnis der Vorlieben und Bedürfnisse der Insassen auf einmal Angebote generiert werden, die es vorher nicht gab.

Beispiele gefällig? Mein Tank ist fast leer, wo ist die nächste, günstigste Tankstelle, ist noch die naheliegenste Anwendung. Doch wie sieht es hiermit aus: Google weiß, dass ich nach einem neuen Monitor gesucht habe. Google weiß, welchen Browser auf welchem Betriebssystem ich verwende. Im Navi gebe ich die Adresse des nächsten Elektronikmarktes ein. Meine Bestellhistorie bei Amazon lässt vermuten, dass ich einen bestimmten Hersteller von Unterhaltungselektronik bevorzuge. Noch bevor ich beim Elektronikmarkt angekommen bin, habe ich passgenau die Werbung für einen Monitor erhalten, dessen Preis unter dem günstigsten Angebot des Elektronikmarktes liegt. Ich schließe den Kauf noch im Auto ab, der Monitor wird nach Hause geliefert. Als Kunde bin ich zufrieden und der stationäre Handel wird mich und mein Geld heute nicht sehen. Zukunftsmusik? Nein, die Technologie dafür ist bereits vorhanden und wir haben das Geschäftsmodell mit unseren Daten erst ermöglicht.

Es scheint, dass auch Sascha Lobo Keeses Buch gelesen oder sich eben mit dem Thema beschäftigt hat. Zumindest beschreibt er genau die gleichen Zusammenhänge in der Autoindustrie. Die Wertschöpfung im Auto wird künftig in den vernetzten Diensten darin liegen und ihre Höhe lässt den Anschaffungspreis des Fahrzeuges, und damit auch dessen Bedeutung, zurücktreten.

Etablierte Unternehmen sehen die Disruption nicht kommen

Am Ende der Woche war ich dann Teilnehmer am Service Summit des Karlsruhe Institute of Technology (KIT). Auch dort ging es um das gleiche Thema, nämlich um „transforming existing business models to service-driven concepts“. Wir hörten gute Vorträge, u.a. hat mir Andy Neely mit „Innovating Your Service Business Model: The Capabilities to Succeed“ gut gefallen.

Es gab aber auch Beiträge, die mich schaudern ließen. Im Vortrag eines Energieunternehmens schimmerte durch, dass der ehemalige Monopolist es bislang nicht geschafft hat, sich Wissen um Kunden und ihre Bedürfnisse anzueignen. Dafür hob der Redner aber immer wieder hervor, wieviel Erfahrung und Wissen sein Unternehmen im Aufbau und Betrieb der Energienetze habe. Eine Idee für ein innovatives Geschäftsmodell, eine Strategie zum Umgang mit disruptiven Technologien habe ich in seinem Vortrag nicht erkennen können: „What do you mean by disruption?“ Hätte ich Anteile an diesem Unternehmen, ich würde sie verkaufen.

Meine Eindrücke aus dieser Woche kann ich so zusammen fassen: Wenn ich heute noch einmal gründen oder investieren würde, dann in eine Plattform, die Kunden und Anbieter eines Marktes zusammen führt.

Das gleiche empfehle ich meinen Beratungskunden, die mich nach Unterstützung beim Entwickeln von Geschäftsmodellen fragen. Immer sollte das Kundenbedürfnis und ein gesteigerter Nutzung im Vordergrund stehen. Was wollen unsere Kunden tun, was sie mit unseren Produkten und Dienstleistungen heute nicht tun können? Bei der Frage steht nicht das KnowHow um vorhandene Technologie im Vordergrund. Denn die ist schneller abgelöst, als sich manch Firmenlenker es eingestehen mag. Es geht allein um die intime Kenntnis von Kundenbedürfnissen. Und um eine radikale, innovative Idee, wie man sie befriedigen kann.