In der letzten Woche hatte ich anlässlich der Ergebnisse des KfW-Gründungsmonitors über die Gründe für das Scheitern von Gründern und Unternehmern geschrieben. Heute möchte ich meine Beobachtungen teilen, die ich für das Straucheln und Scheitern von Organisationen ausgemacht habe.

Während ein Gründer zu Beginn seiner unternehmerischen Tätigkeit häufig allein agiert und sowohl für Erfolg als auch für Misserfolg vollständig verantwortlich ist, teilt sich die Verantwortung in arbeitsteiligen Organisationen auf viele Köpfe auf. Gerade in älteren bzw. reiferen Unternehmen führt dies jedoch oft zu unerwünschten Effekten.

Zu den auch in jungen und kleinen Unternehmen gemachten typischen Managementfehlern, z.B. Fehleinschätzungen zu Absatzpotenzialen, Standortfaktoren und allgemeinen kaufmännischen Schwächen, gesellen sich weitere Ursachen. Viele davon sind in dem Miteinander, dem Umgang der Fach- und Führungskräfte untereinander begründet, andere in den sich verfestigten Abläufen und Infrastrukturen, die ein rasches Reagieren und Anpassen auf veränderte Umwelten erschwert.

Wenn man sich die Entwicklung von Unternehmen über ihren Lebenszyklus hinweg ansieht, so wird man Meilensteine mit Entwicklungssprüngen feststellen. Sie sind in der Regel durch Wachstum ausgelöst, das einen erhöhten Druck auf die Organisation ausübt. So sind die Gewinnung von neuen, anspruchsvolleren Kunden mit erweiterten Anforderungen, der Eintritt in einen neuen Markt oder die Einführung neue Produkte und Dienstleistungen typische Beispiele für solche Wendepunkte.

Wachstumsphasen als Krisenherde

Betrachtet man die Abschnitte zwischen den Meilensteinen wiederum als typische Phasen im Lebenszyklus von Unternehmen, so würde man vielleicht die folgenden Phasen erkennen wollen:

  • Gründung
  • Wachstum
  • Reife
  • Erweiterung  – oder –
  • Abschwung
  • Aufgabe

In der Gründungsphase herrscht eine überdurchschnittliche Kreativität in dem noch kleinen Team vor. Man kennt sich untereinander, weiß genau, welche Stärken und Schwächen die anderen haben und was man voneinander erwarten darf. Die Nähe der Teammitglieder erlaubt einen intensiven Informationsaustausch, die Abwesenheit von Hierarchie erfordert und ermöglicht Kommunikation. Krisen entstehen dann, wenn das Unternehmen aus der Gründungsphase „herauswächst“. Nun müssten Rollen und Verantwortlichkeiten neu bzw. zum ersten Mal klar geregelt werden. Wenn dies unterbleibt, steuert das noch junge Unternehmen in eine Führungskrise.

Gelangt es jedoch in die Wachstumsphase und hat Rollen und Verantwortung geregelt, lauern neue Gefahren. Aufgrund der noch flachen Hierarchien kommt es in der Regel in kurzer Zeit zu einer Ämter- und Verantwortungshäufung bei den wenigen Führungskräften. Entscheidungen werden im engen Zirkel um den Gründer herum gefällt. Gerade universitäre Spin-Offs sind dann davon betroffen, dass ihre Gründer und Chefs keine vorherige Managementerfahrung besitzen. Die Arbeitslast steigt, manchmal in den kritischen Bereich. Sollte es in dem Unternehmen bereits festgelegte und dokumentierte Abläufe geben, so stellt man häufig schmerzvoll fest, dass sie nicht skalieren und dem raschen Wachstum nicht standhalten können.

Ist diese Phase überstanden, erreichen viele Unternehmen einen gewissen Grad der Organisationsreife. Durch Spezialisierung und Arbeitsteilung entstehen Abteilungen, die unterschiedlich stark professionalisiert sind.  Einige dieser Abteilungen werden von den Gründern oder Mitarbeitern der ersten Stunde besetzt, die allerdings immer noch keine Berufserfahrung außer der im eigenen Unternehmen erlangten besitzen. Andere Abteilungen werden durch neue, von außen dazu gestoßene Manager mit mehr Berufserfahrung geführt.

Die unterschiedlichen Erfahrungsstände führen zu voneinander abweichenden Priorisierungen, meistens auch zu unterschiedlichen Geschwindigkeiten bei der Umsetzung von Entscheidungen. Wem die einschlägige Erfahrung fehlt, wer keinen fachlichen Sparringspartner in der Organisation findet, der tut sich mit raschen Umsetzungen oft schwer. Die neuen Manager hingegen sind aus ihren vorherigen Positionen einen organisatorischen Unterbau gewohnt, den das Unternehmen nicht stellen kann. Es liegt an der Geschäftsführung, diese Defizite auszugleichen und die Umsetzungsgeschwindigkeit von Veränderungen über die Abteilungen hinweg zu steuern.

Gehen wir vom Gutfall aus: Das Unternehmen besteht fort und erweitert sich, dann wird es den Reifegrad seiner Organisation weiter erhöhen. An den Abteilungsgrenzen werden Schnittstellen miteinander definiert, manchmal halten sogar Geschäftsprozesse Einzug. Damit werden kundenorientierte Wertschöpfungsketten quer durch das Unternehmen „geschmiedet“, leider oft mit einer Zunahme an Bürokratie und  nicht mit der Flexibilität, die dem Geschäftsprozessmanagement eigentlich inne wohnt.

Die ursprüngliche Kundenorientierung gerät nun zunehmend in den Hintergrund, die Organisation beginnt damit, sich vermehrt mit sich selbst zu beschäftigen. Aus der Nabelschau wird sehr schnell ein Tunnelblick, der die Sicht auf die relevanten Umwelten verstellt. Änderungen im Umfeld, neue Kundenanforderungen oder der Aufstieg eines disruptiven Wettbewerbers werden übersehen. Die angemessene Reaktion darauf bleibt aus oder kommt zu spät. Spätestens jetzt, bekommt das Unternehmen handfeste Probleme:

Umsatzeinbrüche, als Reaktion darauf  kurzfristige Kostenreduktionen, hieraus resultierende Qualitätseinbußen, schwindende Kundenloyalität und in Folge weitere Umsatzeinbrüche – der Teufelskreis hat begonnen.

Die hier aufgezeigte Spirale ist selbstverständlich kein Naturgesetz, der Kreislauf lässt sich an vielen Stellen unterbrechen und positiv beeinflussen.

Was beim Wandel in Unternehmen wichtig ist

Aus meiner Sicht hat sich als wichtig erwiesen, die Führungsstrukturen der eigenen Organisation bewusst und gezielt zu gestalten. Ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen erfahrenen und neuen Führungskräften, von Aufsteigern aus der „zweiten Reihe“ als auch externen Managern ist dabei entscheidend. Dem Unternehmen muss daran gelegen sein, seinen eigenen Kompromiss zwischen Kontinuität und Veränderungsfähigkeit zu finden: Flexibilität einerseits als Voraussetzung für Stabilität, Stabilität wiederum als Voraussetzung für Flexibilität.

Dass bei solchen Gestaltungsaktivitäten mit Widerstand zu rechnen ist, liegt auf der Hand. Eine Binsenweisheit ist auch, dass der Widerstand in reifen Organisationen mit etablierten Prozessen höher ausfällt als in dynamischen Start-Ups. Dann gilt es, gemeinsam eine ehrliche Bestandsaufnahme zu machen, welche Tradition sich als bewahrenswert erweist und welche alten Zöpfen man lieber abschneidet.

Der Kulturwandel jedoch dauert lang, über Jahre eingeübte Kommunikations- und Handlungsmuster lassen sich nicht einfach über Nacht ändern. Meistens bleiben bei allem Wandel noch Artefakte der bisherigen, nun unerwünschten, Strukturen und Prozesse zurück. An die innere Haltung der Mitarbeiter kommt man allein mit neuen, verordneten Abläufen und Handlungsanweisungen nicht heran. Sie erfordern Schulungs- und Trainingsmaßnahmen, die auf ein Entlernen der alten und ein Erlernen der neuen Handlungsmuster abzielen.

Der Stellenwert der Unternehmenskultur beim Wandel

Welchen Einfluss die Kultur eines Unternehmens auf dessen Veränderungsfähigkeit hat, führt Prof. Peter Kruse in seinem Buch „next practice, Erfolgreiches Management von Instabilität“ aus.

Die zu beobachtende zunehmende Vernetzung der Gesellschaft und ihrer Individuen führe zu wachsender Komplexität und Veränderungsgeschwindigkeit in den Märkten. Je weiter diese Vernetzung zunehme, desto höher sei auch die Wahrscheinlichkeit von nicht-deterministischen Wirkungen und Wechselwirkungen. Was für Individuen nicht mehr beherrschbar sei, ließe sich in Gruppen und Gesellschaften jedoch durch Wissensmanagement aufgrund von Kulturbildung bewältigen. Die Kultur hätte dabei die Aufgabe, „die individuelle Verhaltensvielfalt zu verringern“, sie tradiere Wissen über Generationen hinweg und stabilisiere damit die Individuen. Damit stelle sich bei Veränderungen in Organisationen immer die Frage nach deren „kulturellen Möglichkeiten des angemessenen Umgangs mit Dynamik“. Kruse kommt zu dem Schluss:

„Über Erfolg oder Misserfolg beim Umgang mit der Marktdynamik entscheidet die Unternehmenskultur.“

Daher ist „ausgerechnet der so schwer zu greifende `weiche´ Faktor der Kultur der `härteste´ Erfolgsfaktor in Veränderungsprozessen“, was ich an anderer Stelle früher bereits dargelegt habe.