Heute erreichte mich eine E-Mail vom Verlagshaus Van Haren Publishing. Die Niederländer sind spezialisiert auf Druckwerke rund um das IT-Service Management  und veröffentlichen nahezu alle Bücher zum ITIL-Standard. In der Mail nutzen sie die folgende Erkenntnis aus einer Forrester-Studie als Aufhänger: „52 % of failing (ITSM) ITIL initiatives  do so because of ‚resistance to change'“.

Sie führen die Ergebnisse der Studie weiter aus mit der Aussage „Attitude, Behavior and Culture issues have been, and still are, a major cause of wasted time, effort, energy and costs and increasing business risks.“ Leider findet sich in der Mail kein näherer Hinweis auf die Quelle, also in welcher von Forresters Studien diese Erkenntnis gewonnen wurde.

Gleichwohl macht es Sinn, sich mit dieser Aussage näher zu beschäftigen. Warum scheitern so viele Vorhaben zur Veränderung von Geschäftsprozessen? Insbesondere jene, die mit der Einführung neuer oder der Migration von bestehender Software-Tools zusammen hängen? Was hat es mit dem erwähnten „resistance to change“ auf sich? Van Haren und auch die itSMF erwähnen in diesem Zusammenhang das „ABC“ der Veränderung, nämlich besagte „attitude, behaviour and culture“.

Menschen tendieren dazu, sich sowohl im privaten wie auch im beruflichen Leben in einer so genannten Komfortzone einzurichten. Das ist eine Verhaltensweise, in der mit wenig Aufwand und Veränderung eine stabile Situation geschaffen wird, in der sie sich wohl fühlen. Sie ist gekennzeichnet von Alltäglichem, das keine größeren Herausforderungen beinhaltet. In diesem Zustand empfinden die meisten Menschen ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit.

Äußerer Druck auf diese Komfortzone, zum Beispiel durch Veränderung gewohnter Abläufe oder Umgebungen, führen dazu, sich aus der Zone heraus bewegen zu müssen. Neues Verhalten muss probiert werden, Unsicherheit entsteht, eventuell sogar eine Form von Angst. Wenn eine angemessene Anleitung und Begleitung der Menschen stattfindet, kann durch diese Unsicherheit die Offenheit für dauerhafte Veränderung bewirkt werden – das Individuum lernt neues Verhalten. Sobald sich durch das neue Verhalten wieder Sicherheit einstellt, kann es dazu führen eine neue Komfortzone einzurichten, in der dieses Verhalten dann zum sinnstiftenden Grundmuster gehört.

Ist der äußere Druck zu hoch (Zwang, Existenzangst etc.), entsteht keine Offenheit zum Lernen sondern Panik. Es kommt zu Blockaden, die das Lernen sogar verhindern und zu dauerhafter Ablehnung der Veränderung führen können.

Was bedeutet das für Veränderungsprozesse in Unternehmen?

Jede Änderung von Abläufen und Geschäftsprozessen muss begleitet werden von Aktivitäten, die die Mitarbeiter vorsichtig aus ihrer Komfortzone heraus holen und eine Offenheit für das Neue wecken. Zu hoher Druck, zu schnelle Veränderung oder Zwang durch das Management führen dazu, dass die neuen Geschäftsprozesse oder die sie unterstützenden Tools abgelehnt werden. Alte Prozesse werden dann durch die Mitarbeiter heimlich weiter gelebt, Umgehungen und Vermeidungsstrategien entwickelt. Für das Unternehmen kann das im Extremfall zu einem Totalverlust der Investition in die neuen Prozesse und Tools führen.

Wenn ein Unternehmen sich also entschließt, aufgrund von veränderter Marktsituation oder neuer Geschäftsmodelle in die Erneuerung seiner IT-Infrastruktur zu investieren, dann ist dabei ein Teil des Budgets auf die Begleitung der Mitarbeiter in dem Veränderungsprozess einzuplanen.

Produktivitätssteigerung liegt nicht allein in der IT begründet

Diese Erkenntnis an sich ist jedoch ein alter Hut. Bereits 1998 haben Brynjolfsson und Hitt in ihrem Artikel „Beyond the Productivity Paradox“ darauf hingewiesen, dass Initiativen zur Steigerung der Produktivität neben der Investition in neue IT einen erheblichen Anteil Beratungs- und Trainingskosten erfordern: „Productivity growth comes from working smarter.“ Dabei räumten sie auch mit der bis dahin geltenden Annahme auf, dass allein die Nutzung von mehr IT die Produktivität im gleichen Maße steigern würde.

Bis dato galt die Aussage, dass jeder in IT-Asset investierte Dollar automatisch einem Mehr an Umsatz des jeweiligen Unternehmens entsprechen würde. Die Forscher fanden in ihrer Studie jedoch eine Einflussfaktor, der in der jeweiligen Firma und ihrer Struktur selber begründet liegt. Die langfristige Wertsteigerung von IT-Investitionen trat nur dann ein, wenn für jeden Dollar IT-Investition mehrere Dollar in die organisatorische Änderung des Unternehmens investiert werden.

Doch nicht nur das, die Wissenschaftler konnten sogar belegen, dass die Investition nur in neue Hard- oder Software ohne begleitende Investitionen in das Training und die Schulung der Mitarbeiter zu einem negativen Effekt führen. Die Produktivität und damit auch der Wert des Unternehmens würde dann sinken.

Das wertsteigernde Verhältnis, in dem die Investionen in IT-Assets zu denen in Veränderungsprozesse stehen sollte, haben Brynjolfsson und Hitt mit 1:10 ermittelt. Das bedeutet, jedem Dollar der in den Kauf neuer Hardware oder Software gesteckt wird, sollten etwa 10 Dollar Investition in Training der Mitarbeiter in das neue System und die Begleitung durch Berater und Coaches gegenüber gestellt werden. Nur dann ist mit der Gesamtinvestition auch eine Steigerung der Produktivität und damit des Unternehmenswertes verbunden.

Wer sich die Investitionsvorhaben von Unternehmen näher ansieht, wird dieses Verhältnis selten vorfinden. In der Regel wird noch immer an der Schulung der Mitarbeiter gespart, weil ja schon das neue Computersystem allein das verfügbare Budget aufgezehrt hat. Vor diesem Hintergrund ist die zitierte Forrester-Aussage über die hohe Zahl an scheiternden Projekten nur zu gut nachzuvollziehen.

[Update 26.05.2011] Wie aktuell die Aussage von Brynjolfsson und Hitt immer noch ist, sieht man an dem Beitrag von Frank Schiewer. In seinem Blog empfiehlt er den gestressten CIOs mehr Automatisierung ihrer Infrastruktur, um zu mehr Effizienz und Produktivität zu kommen. Gleichzeitig würde sich auch die Datenqualität verbessern, auf deren Grundlage Unternehmen ihre Entscheidungen bauen. Leider erwähnt Herr Schiewer dabei nicht, dass die schöne neue Automatisierungswelt am Ende immer noch von Menschen bedient werden muss. Und die lassen sich leider nicht auf Knopfdruck aus ihrer Komfortzone holen… [/Update]