In den letzten Monaten hat man immer wieder von disruptiven Technologien und Geschäftsmodellen gehört und gelesen. Der HBM-Artikel „Kiva, der Disruptor“ in der Ausgabe 2/2013 berichtet von dem Fall des Unternehmens Kiva Systems, die mit ihren mobilen Roboterlösungen die traditionelle Lagerlogistik auf den Kopf gestellt hat.

Der Gründer Mick Mountz erzählt darin, dass er auf der Suche nach Investoren war. Seine Idee bestand darin, die Kommissionierer  in den großen Logistik-Lagern nicht mehr von Regal zu Regal laufen zu lassen, um eine Kundenorder zusammen zu stellen. Stattdessen sollen mobile Roboter die Lager zu den Kommissioniertischen bringen und den Menschen so die Arbeit erleichtern.

Klassischerweise werden von institutionellen Investoren auf Software basierende Geschäftsideen solchen, die auf Hardware basieren, vorgezogen. Die Gründe liegen auf der Hand: Investitionen in Hardware sind häufig totes Kapital, während eine einmal produzierte Software sich beliebig kopieren und verkaufen lässt – der viel zitierte Skaleneffekt.

An dem Beispiel von Kiva wird jedoch deutlich, dass hier die Geschäftsidee vor der Hardware im Vordergrund steht. Die notwendige Voraussetzung ist die Umsetzung von Basis-Technologie, hier: der Roboter und ihrer Steuerung. Der nächste Schritt besteht jedoch darin, die bestehende Infrastruktur mit höherem Nutzen für die Anwender auszustatten. Am Beispiel der Roboter-Logistik sind das etwa verbesserte Steuerungs-Routinen, die den Arbeitsfluss in der Kommissionierung optimieren. Oder höhere Produktivität durch ausgeklügelte Lade- und Arbeitszyklen.

Am wichtigsten ist aber die Entwicklung des Geschäftsmodelles, um eine wirklich disruptive Entwicklung einzuleiten:

Das Kiva-Team hat die Abläufe der Logistik-Branche einer genauen Untersuchung unterzogen. Auf der Grundlage dieser Analyse waren sie in der Lage, mit unkonventionellen Ideen deren Welt zu optimieren und revolutionieren.

Als wichtig für den Erfolg hat sich das Zusammenkommen eines Teams mit sich ergänzenden Fähigkeiten erwiesen. Hier steht Diversität vor Konformität. Verschiedene Kenntnisse und Fertigkeiten im Team vereint zu haben, ist von Vorteil, Querdenken explizit erwünscht.

Das Team muss in ein gemeinsames Verständnis für die Nöte ihrer Kunden entwickeln und deren Ängste vor Veränderung abbauen. Kosten und Vorteile der neuen Lösung sind unbedingt klar darzustellen. Eventuell hilft es der Kundenakzeptanz, wenn der Dienstleister bereit ist,  das Risiko für den Betrieb der neuen Lösung zu übernehmen.

Bei diesen Betreibermodellen zahlt der Kunde dann weder für Infrastruktur (Abschreibung) noch Betriebskosten, sondern erhält im Sinne eines pay-as-you-go eine Rechnung z.B. über durchgeführte Transaktionen. Dieser Ansatz erfordert volle Transparenz über Abläufe und Material- und Finanzflüsse, es darf keine versteckten Positionen mehr in der Abrechnung geben. Das Mantra der Disruptoren ist die customer experience.

Vor diesem Hintergrund hat das für Kiva geheißen, Gesamtverantwortung für die Lösung und den Prozess in einer Branche zu übernehmen, in der die Kunden bislang gewohnt waren, Projekte mit mehreren Anbietern durchführen zu müssen. Da die Komplexität eines Lösungssystemes mit der Anzahl der Komponentenlieferanten exponentiell wächst, sind Kunden daran interessiert, mit nur einem Anbieter zusammen zu arbeiten.

Im Sinne der customer experience wurde folgerichtig eine prozessorientierte Aufbauorganisation gewählt, die anstelle von klassischen Linien-Einheiten wie Vertrieb, Marketing und Entwicklung eine Struktur entlang von touchpoints entfaltet:

  • Tell it
  • Sell it
  • Design it
  • Build it
  • Deploy it
  • Support it

Mit dieser Abfolge aufeinander aufbauenden Tätigkeiten hat Kiva sicher gestellt, dass ihre Kunden nahtlos von Hand zu Hand der Mitarbeiter gereicht wird. Hinzu kommt eine Betreuung durch Account Manager, die im Überblick des Prozesses immer die Interessen ihrer Kunden im Blick behalten.

Wer als neuer Mitspieler in eine bestehende Branche einbricht, ist insbesondere darauf angewiesen, eine innere Haltung zum Change, dem Wandel, zu entwickeln. Mögliche Reaktionen der etablierten Wettbewerber müssen antizipiert und mit einer Unternehmenskultur begegnet werden, die sich durch Wettbewerbsfreudigeit, Innovation, Freundlichkeit und Kundenorientierung auszeichnet. Wer als Organisation darüber hinaus noch schnell, ergebnisorientiert, bodenständig und flexibel ist, hat entscheidende Vorteile.

Um mit einem solchen Ansinnen wie Kiva einen Markt neu betritt, muss sich seine(n) ersten Kunden sehr sorgfältig auswählen. Das Vorschuss-Wohlwollen der Kunden bei einem unkonventionellen Vorgehen ist erfolgskritisch. Nicht immer wird alles auf Anhieb klappen und so ist grundsätzliche Bereitschaft für den neuen Weg absolute Voraussetzung für eine erfolgreiche Zusammenarbeit.

An der Studie von Kivas Vorgehen werden die Faktoren für ein erfolgreiches Einführen von disruptiver Technologie deutlich: Ein neutraler Blick auf Branchen-Gepflogenheiten und die Bereitschaft, ausgetretene Pfade zu verlassen. Die Fähigkeiten eines gemischten Teams sorgen für die notwendige Innovationskraft, die innere Haltung sorgt für Kundenorientierung, Veränderungsfähigkeit und die richtige Mischung aus Ziel- und Ressourcenorientierung.