Der Deutsche Kanu Verband (DKV) ist der Dachverband für 19 Landeskanuverbände, in denen zusammen über 1300 Vereine mit mehr als 116.000 Sportlern organisiert sind. Er ist einer der erfolgreichsten Sportverbänden Deutschlands, seine Leistungsportler gehören regelmäßig zu den Medaillengewinnern auf Weltmeisterschaften und Olympiaden.

Im Freizeitsportbereich richtet der Verband einen Wandersport-Wettbewerb aus, in dem die Teilnehmer  alters- und geschlechtsspezifische Fahrtleistungen auf verschiedenen Gewässern erbringen müssen. Der DKV stellt über den Verlauf der letzten Jahre, insbesondere im Jugendbereich, eine Abnahme der eingereichten Anträge fest.

Situation

Den Nachweis der Fahrtleistungen erbringen die Kanusportler in einem persönlichen Fahrtenbuch. Dessen Eintragungen werden mit einem in den Bootshäusern der Vereine ausgelegten Vereinsfahrtenbuch abgeglichen. Am Ende einer Saison werten Vereinsfunktionäre die persönlichen Fahrtenbücher manuell aus und überprüfen die Eintragungen mit denen im Vereinsbuch.

Sie erstellen mithilfe von Tabellenkalkulation oder Papier und Bleistift dann Vereinslisten, die in den föderalen Strukturen des Verbandes weiter aggregiert werden: Vom Verein zum Bezirk, vom Bezirk in den Landesverband und von dort zum Dachverband. Die Weitergabe der Listen erfolgt entweder auf dem Postweg (Papierlisten) oder per E-Mail (Dateianhang). Die Zusammenführung der Listen auf den jeweiligen Verbandsebenen erfolgt dann wiederum manuell bzw. durch Kopieren & Einfügen von Tabellen aus den zugesandten Dateien. Diese Tätigkeit ist aufwändig und fehlerträchtig. Bis alle Ergebnisse ausgewertet und verteilt worden sind, können mehrere Wochen vergehen.

Hinzu kommt, dass die traditionell gewachsene Art der Auswertung über die Jahre auch in rechtlicher Hinsicht nicht kritisch hinterfragt wurde: Das Erfassen von personenbezogenen Daten, die Erstellung, Verarbeitung und Übermittlung von Listen ohne erklärtes Einverständnis der Betroffenen steht nicht im Einklang mit den Vorgaben des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG).

Die Abnahme bei der Einreichung von Anträgen erklären sich die Verantwortlichen u.a. durch die gesunkene Akzeptanz bei dem Führen der Fahrtenbücher in Papierform.

Es wird ein Projekt aufgesetzt, welches die Möglichkeiten zur IT-gestützten Erfassung und Verarbeitung der Wettbewerbsdaten untersuchen soll. Im Rahmen des Projektes ist ein Prototyp einer solchen Lösung zu erstellen und in einem einjährigen Pilottest auf Tauglichkeit zu überprüfen.

Herausforderungen

Eine zentrale Herausforderung an das Projekt ist die demografische Struktur des im DKV organisierten Mitgliederstammes. Die Akzeptanz für die Nutzung eines IT-gestützten Erfassungsprozesses wird alters- und bildungsabhängig unterschiedlich sein. Die Lösung muss für IT- und internetaffine Nutzer attraktiv genug sein, darf die anderen Mitglieder aber nicht abschrecken.

Weitere Herausforderungen sind in der föderalen Verbandsstruktur des DKV begründet:

  • Mitglieder des DKV sind die Landesverbände, nicht jedoch einzelne Vereine oder natürliche Personen. Betreiber des IT-Systems und damit verantwortliche Stelle im Sinne des BDSG wird wiederum der DKV sein. Eine Verarbeitung von personenbezogenen Daten ist in dem Dreiecksverhältnis besonders zu behandeln.
  • Neben dem bundeseinheitlichen Wettbewerb gibt es regionale und lokale Wettbewerbe in den Landesverbänden, deren Durchführung und Auswertung unterstützt werden muss.
  • Der mögliche Durchgriff des Dachverbandes auf Mitgliederdaten der Vereine der Landesverbände ist ein sensibles Thema, vergleichbar dem „Channel-Konflikt“ in der Wirtschaft.
  • Ein erzwungenes top-down-Ausrollen eines einheitlichen Systemes ist nicht möglich. Übergangsfristen sind vorzusehen, in denen einzelne Vereine und Mitgliedsverbände sich erst nach und nach zur Nutzung des Systemes entscheiden. In dieser Zeit ist ein Parallelbetrieb von Traditionsprozess und IT-Prozess erforderlich.

Nicht zuletzt ist die Budgetsituation des DKV eine deutliche Einschränkung. Obwohl sportlerisch führend, verfügt der DKV im Gegensatz zu publikumswirksameren Sportverbänden nicht über die Mittel, ein solches Projekt komplett an externe Unternehmen zu vergeben. Das Projekt muss daher mit ehrenamtlichen Mitarbeitern besetzt werden und das vorhandene Budget intelligent nutzen. Die ehrenamtliche Besetzung wiederum stellt besondere Anforderungen an die laterale Führung durch den Projektleiter.

Aktionen

Die in einem Workshop entwickelte Vision zur Lösung der Probleme beschreibt ein datenbankgestütztes Fahrtenbuch-System. In diesem sollen die Kanuaktiven ihre Fahrten eintragen können. Idealerweise soll dies auch von unterwegs möglich sein, unter Nutzung der immer üblicher werdenden Smartphones. Ohne das System verlassen zu müssen, werden die Fahrtdaten dann von den Funktionären ausgewertet und geprüft. Die Weitergabe von Ergebnissen an die nächste Verbandsebene erfolgt nach einem Rollen- und Rechtekonzept durch Freigabe von Sichten auf die Daten. Dabei wird das Prinzip der Datensparsamkeit verfolgt, jeder Funktionär erhält nur Einsicht in Daten, die für seine Arbeitsschritte nötig sind. Eine Überprüfung von Fahrtleistungen der Sportler ist bereits unterjährig möglich, so dass am Saisonende eine Auswertung aller Daten buchstäblich auf Knopfdruck erfolgt.

Um dieses System entwickeln zu können, untersucht das Projektteam alle bereits existierenden Abläufe und Prozesse in den Verbänden und in der Organisation des Wettbewerbs. Über 50 Geschäftsanwendungsfälle werden identifiziert und beschrieben. Zusammen ergeben sie ein sehr komplexes Bild einer gewachsenen Organisation.

Die Geschäftsanwendungsfälle werden zur Umsetzung in einer Webapplikation konzipiert und schrittweise entwickelt. Am 01.10.2010 wird der einjährige Probebetrieb für die Paddelsaison 2010/2011 gestartet. In dieser Zeit nehmen über 50 Vereine aus 12 Landesverbänden an dem Test teil. Dem Projektteam ist es für die wirksame Veränderung wichtig, eine möglichst breit aufgestellte Testgemeinde zu involvieren. Am Ende der Saison werden über 5300 Einzelfahrten von den Kanuten eingetragen sein. Dann folgt die Auswertung durch die Funktionäre. Das System funktioniert und ermöglicht die Auswertung des Wettbewerbes auf Vereinsebene, inklusive der Anträge, die parallel zum System weiterhin in Papierform dokumentiert wurden.

Das Projektteam wertet die Erfahrungen und Ergebnisse aus dem Pilotbetrieb aus. Dazu wird auch eine Umfrage unter den teilnehmenden Vereinen durchgeführt, die wichtige Impulse für die weitere Entwicklung des Systemes setzt. Gut 90 % Prozent der Umfrageteilnehmer sprechen sich für eine Fortführung der Lösung aus.

Ergebnisse

Dem ehrenamtlichen Projektteam ist es in weit über (dokumentierten) 3000 Projektstunden gelungen, die Kernziele des Projektes zu erreichen:

  • die Machbarkeit der Lösung wurde bewiesen,
  • das System hat sich in der Praxis bewährt,
  • wichtige Erfahrungen im Betrieb konnten gesammelt werden
  • und eine hohe Akzeptanz der Benutzer wurde erreicht.

Die beschließenden Gremien des DKV haben sich bereits für eine Fortführung der Fahrtenbuchlösung ausgesprochen. Derzeit formuliert das Team einen Antrag für ein Folgeprojekt beim DKV.

Hinsichtlich der Durchführung und Organisation eines so komplexen Vorhabens mit Ehrenamtlichen wurden wichtige Erkenntnisse gewonnen. Bewährt hat sich die Orientierung an formalen Projektmanagement-Methoden. Für ein virtuelles, über viele Bundesländer verteiltes Team mit schmalem Budget waren der Einsatz von modernern Kommunikationsmittlen unverzichtbar: Mailinglisten, webbasierte Projektplattform und Groupware-Lösung, Webkonferenzen mit VoIP-Telefonie, Online-Umfragen. Die konsequente Ausrichtung auf offene Standards und lizenzkostenfreie OpenSource-Software haben das Budget zusätzlich entlastet.

Unser Beitrag

Die Leitung des ehrenamtlichen Projektteams wurde von Kai Altenfelder wahrgenommen. Aus seiner langjährigen Tätigkeit als Berater, Coach  und Trainer in den Themen Projekt- und Geschäftsprozessmanagement hat er Methodenwissen in das Team einbringen konnte. Die Fokussierung auf Umfang und Ziele des Projektes haben das Team mehrfach davor bewahrt, sich in zusätzlichen Funktionen und Features zu verzetteln. Seine Erfahrung aus Führungsaufgaben in Software-Unternehmen sowie seine Vernetzung innerhalb der Unternehmenswelt haben dem Projekt mit externem KnowHow und Übernahme von Sponsorenschaft geholfen.